Dienstag, 3. Juli 2018

Tolle Menschen, die EU und ein Rentier

Entgegen der Wettervorhersage schien meine Tour von St. Petersburg nach Mikkeli in Finnland nun doch nicht so nass zu werden, wie ursprünglich gedacht. Mit Sicherheit hat das kurze Stoßgebet beim heiligen Issak am Vortag geholfen. Oder meine Frau hat das bewirkt, die einfach sagt, alles wird gut.


Piotr half mir am Morgen beim Gepäck, das ja in die Parkgarage gegenüber musste. Und dann ging es los. Beim Starten der Maschine ging beim Auto neben mir die Alarmanlage an. Nach einer Weile kam der Security Mensch mit dem Schlüssel des Autos, sagte staunend etwas auf Russisch und beendete den Hupton.

Nur gut, dass der am Vortag nicht auch meinen Schlüssel haben wollte. Den hätte ich ihm sicher nicht gegeben sondern lieber die Dicke wieder durch das viel zu kleine Tor in den Innenhof bugsiert, um sie dort mit meiner 2m Kette an der Dachrinne zu befestigen. Ok, war ja nicht notwendig.


Die Fahrt aus Petersburg heraus verlief noch etwas holprig, zum einen wegen der. Unglaublich schlechten Straßen, zum anderen, weil es wohl einige neuere Straßen gibt, die mein Navi noch nicht kennt.


Aber dann war es geschafft und es ging bei bewölktem Himmel aber trocken Richtung Finnland. Diese Strecke war die bisher grauenvollste der ganzen Tour. Es ging durch tolle Landschaften, keine Frage, doch die Straße war so kaputt, dass es eine Qual war. Jeden Moment konnte ein übersehenes oder unausweichliches Schlagloch mich und meine Maschine komplett verschlucken. Am schlimmsten war es, wenn ich hinter einem Auto fuhr, da konnte ich die Löcher noch später wahrnehmen und bei jedem Schlag kamen die Hals- und Lendenwirbel sich ein Stück näher.



Aus einem der zahlreichen Reiseführer habe ich entnommen, dann eine sehr schöne Küstenstraße abseits der Hauptroute empfehlenswert sei. Diesem Hinweis folgend fuhr ich eine tatsächliche gigantisch schöne Strecke direkt am Meer entlang. Leider wurde dieser tolle Ausblick von unglaublich viel Müll an der Straße und am Strand getrübt.




Irgendwann war dann auch diese Kraterstrecke geschafft und ich kam zur Grenze. Schon 15km vorher wurde ich aufgehalten und ein Uniformierter fragte etwas auf Russisch. Ich zeigte in Richtung Norden und sagte, dass ich nach Finnland möchte. Darauf dürfte ich weiter fahren. Kurz darauf der nächste Stop. Wieder eine Frage auf Russisch. Doch diesmal verstand ich Passport. Ich holte ihn hervor und als die Dame ihn sah dürfte ich auch hier weiter. Sie wollte nur sehen, ob ich einen Pass habe, angeschaut hat sie ihn nicht. Dann an der Grenze lief es wie immer sehr gemächlich ab. Aber es ging hier dennoch wesentlich schneller als bei den anderen Grenzübertritten ins kommunistische Ausland. Warten war aber dennoch angesagt.



Nach 5 Kontrollen dann der völlig entspannte finnische Beamte, der meinen Pass kurz anschaute und mich weiterwirkte. Ich fragte ihn, ob nun noch ein Check kommt und er sagte einen Satz, den ich nie vergesse „Sie sind jetzt in Finnland, in der Europäischen Union, herzlich Willkommen!“ -hier sind Sie sicher- war der Halbsatz, den er nicht sagte, der aber für mich förmlich zu hören war. Ich war froh, Russland besucht und kurz kennengelernt zu haben, nun aber auch zufrieden, diese Grenze hinter mich lassen zu können.


Der Rest der Tour nach Ristiina bei Mikkili war dann entlang wunderschöner Seen und plötzlich sehr einheitlichen Häusern. Denn hier sehen fast alle Häuser farblich gleich aus. Alle in diesem rostigen Rot und weisen Türen und Fenstern. Angekommen wurde ich sehr herzlich begrüßt und in mein Sommer Chalet geführt. Ich bin mir sicher, das war mal ein Stall, entweder für sehr kleine Pferde oder niederes Getier, denn die Deckenhöhe Betrug gerade 1.80m. Fenster gab es keines und auch sonst war es sehr einfach. Eine Lampe, zwei Betten, ein Stuhl. Dafür hatte es aber echt Charme und für mich nach dem ganzen Großstadttrubel hätte es nichts passenderes geben können. Ich bin dann bei einem Spaziergang durch nichts als Wald und Wiesen zum etwas entfernt liegenden Ort zum Einkaufen wieder sehr gut zur Ruhe gekommen, nach den Aufregungen der „russischen Tage“. 





Die Nacht war dann doch recht unruhig. Erster Kontakt mit finnischen Mücken. Das sind echte Brummer im Gegensatz zu den mir bekannten bayerischen Biestern. Das hat zur Folge, dass die Teile hier auch ein komplett anderes Landeverhalten an den Tag legen. Die sind so schwer, dass es ich es gespürt habe, wenn sich eine an mir niederließ. Und das Starten ist auch nicht so ihr Ding, so dass ich in der Regel alle, die es wagten, auf mir zu landen, nicht nur spürte, sondern auch erschlug. Blöd war nur, dass wohl aufgrund der Bauart auch eine andere Summ - Frequenz erzeugt wird. Wenn ich nun schlafen will und permanent dieses Brummen höre, da kann ich tausendmal davon überzeugt sein zu spüren wenn die landet. Ich will schlafen, und dann werde ich nichts spüren und dann?


Ok, die Nacht ging vorbei mit wenigen Stichen und es erwartete mich ein grandioses Frühstück. Gemeinsam mit den Gastgebern und werteren Gästen aßen wir gemeinsam an einem reich gedeckten Tisch. Der Hausherr saß am Ende des Tisches, buk Waffeln und förderte die Unterhaltung. Ich hörte interessiert zu, genoß das Essen und verstand nichts. Eine komische Sprache, dieses Finnisch. Aber nach einer Weile wurde ich dann auf Englisch ins Gespräch eingebunden und ich konnte von meiner Tour und den Erlebnissen und Hintergründen erzählen. Alle fanden es sehr interessant und gaben gute Tipps und wünschten alles Gute. So nette Menschen, diese Finnen. Großartig. Immer ein Lächeln, immer ein nettes Wort. Das einzige Lächeln, dass ich in St. Petersburg bekam sah so aus:




 Ok, ein etwas verunglückter Schnappschuss mit einer jungen Dame, die die Plastikmüll - Piraten Tasche hält und mir versprochen hat, keine Plastikstäbchen mehr zum Kaffeeumrühren anzubieten für den Kaffee, den sie direkt aus dem Kofferraum ihres kleinen Transporters heraus verkaufte. Und der war echt gut.


Ich erzählte dann am Frühstückstisch noch die Begebenheit mit dem finnischen Grenzer, der mich stolz in der europäischen Union begrüßte. Darauf sagte der Gastgeber, die EU lasse mit der Öffnung der Grenzen zu, dass Drogen und Kriminelle in sein Finnland kämen. Auch müsse er jedes Mal, wenn er im Frühjahr und im Herbst die Schafe seines Nachbarn zu sich nimmt beziehungsweise zurück gibt, ein Formular für die EU ausfüllen, womit dokumentiert wird, ob er nun sechs Schafe hat oder nicht. Sein Nachbar müsse übrigens das gleiche tun. 

Aber er erzählte das nicht im Zorn oder Anklagend sondern auf eine eher amüsierende Art, ohne aber den ernsten Hintergrund zu vernachlässigen. Eine großartige Bekanntschaft. 


Stolz teilte er mir auch mit, dass sein Tuukkalan tila, so heißt die Herberge, als einzige im Umkreis eine spezielle Auszeichnung für naturverbundenes Handeln bekommen hat. Wir lagen also mit unseren Vorstellungen vom Umgang mit der Natur auf einer Wellenlänge.


Nach dem fulminanten Frühstück ging es dann auf die erste längere Regenfahrt. Zwei Stunden Dauerregen, das war der erste Härtetest für die Ausrüstung. Und auch für mich, dann in den zwei Stunden ist oberstes Ziel, nicht bewegen. Also beim Start eine halbwegs angenehme Sitzposition einnehmen und hoffen, dass alles dicht bleibt. Jede Bewegung könnte irgendwo eine Schwachstelle schaffen, durch die Wasser eindringt. Dann der erste Tankstopp und schon beim Absteigen wird klar, ok, da fühlt sich nicht alles trocken an. Aber da muss man dann eben durch. Wieder aufgesessen, Position eingenommen und gehofft, dass sich die nassen Stellen möglichst schnell der Körpertemperatur annähern, damit es nicht ganz so unangenehm ist. Und dann der helle Streifen am Horizont und es wurde endlich trockener. Ca 20 km vor dem heutigen Ziel, Kokkola, wieder an der Küste, dann mein erstes Rentier, das gemütlich die Straße querte. Mein Gastgeber von heute morgen hatte mich noch davor gewarnt. Er sagte, ich solle aufpassen. Elche kommen wie ein Zug, einfach ohne Rücksicht auf Verluste geradeaus durch. Rentiere hingegen scheinen eher unseren Rehen zu ähneln, was das Verhalten angeht. Also eher unentschlossen und zögerlich, was die Sache nicht zwingend einfacher macht.

Aber nun habe ich mein erstes Rentier gesehen und dazu noch eine traumhafte Unterkunft hier in Kokkola. 


Morgen geht es nach Rovanimie, eine größere Stadt in Nordfinnland.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen